Besuch


An ihrer Tür muss man sehr lange warten
Sie trägt das Lächeln bittrer Medizin
Es fällt ihr schwer, mich wiederzuerkennen
Die fernen Reisen hat sie mir nie verziehen

Neben seinem Bild in Hauptmannuniform
Hängt schief das Kreuz und Jesus fehlt ein Arm
Sie geht mit Schmerzen sonntags in die Kirche
Mittwochs fünfzehn Uhr ist immer noch Alarm

Die Sorgen, die sie ratlos, schlaflos machen
Sind meist nur fünf Minuten Arbeit wert
Sie weiß schon längst von ihren fernen Söhnen
Wer welchen Schrank und wer das Haus begehrt

Sie erntet neuen Mut in ihrem Garten
Will dennoch jede Schuld sofort bezahlen
Sie wünscht, dass ich ihr altes Fahrrad putze
Und denkt: Ich weiß, dass ich es nie mehr nutze

Sie freut sich Tränen über meine Blumen
Und will mir was von ihrer Rente geben
Sie schneidet Kuchen, trägt eine helle Bluse
Sie nimmt sich noch Kaffee und nicht das Leben


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